Dr. Annette Klett-Steinbauer ist Partnerin bei der Managementberatung Thaltegos, die sich auf Data Science und Big Data spezialisiert hat und Teil der Plan.Net Group ist.
Die Pandemie hat Bedürfnisse und Verhalten der Besuchergruppen verändert. Das Messemarketing muss darauf reagieren, um wieder passgenaue Angebote und Attraktionen bieten zu können.
Auch wenn jetzt nach mehr als zwei harten Jahren wieder Messen stattfinden können: Die Branche steht unter einem gewaltigen Druck. Deutschland zählte vor der Corona-Pandemie zu den größten Messestandorten weltweit. Die Messewirtschaft setzte Milliarden um. Blicken die hiesigen Veranstalter auch optimistisch nach vorne: Ihre Branche steht vor enormen Veränderungen, die ihr gesamtes Business verändern werden. Gleichzeitig wollen (und müssen) sie ihr (altes) Geschäft wieder auf Vor-Corona-Niveau bringen. Doch auch das Verhalten der Messegäste hat sich in den letzten Monaten und Jahren nachhaltig transformiert – besonders bei Geschäftsreisenden. So ersetzen digitale Formate oftmals Dienstreisen. Auch spielen ökologische Aspekte eine immer wichtigere Rolle. Unternehmen hinterfragen deutlich stärker als zuvor, ob eine Geschäftsreise notwendig ist. Das betrifft auch Messebesuche.
Um Messen neuen Schwung zu verleihen, brauchen Veranstalter Daten rund um das aktuelle Reiseverhalten, die neuen Besucherbedürfnisse und ihre Zusammensetzung. Mit einem tiefen Gästeverständnis können Kommunikation und Angebote wieder erfolgreich gestaltet und ausgesteuert, die Besucherquantität sowie -qualität proaktiv beeinflusst werden.
Über anonyme Daten können gezielt Gästeinformationen gesammelt und viele Fragen beantwortet werden: Welche Besuchertypen kommen? Aus welchen Einzugsgebieten oder Herkunftsländern stammen sie? Wie reisen sie an? Welche Tage planen sie für ihren Aufenthalt ein? Welche Erwartungen haben sie an die Messe? Und welche neuen Bedürfnisse bringen sie mit?
Nicht nur die Bedürfnisse der Menschen auf der Messe, sondern auch die der digital Teilnehmenden stehen im Fokus.
Annette Klett-Steinbauer
Um diese Fragen zu beantworten, eignet sich ein smartes Dashboard. Hier werden Datenquellen zusammengebracht, intelligent verknüpft und entscheidungsrelevant visualisiert. Zu den Quellen zählen eigene Daten vergangener Veranstaltungen. Dafür sollten Messebetreiber interne Datensilos aufbrechen und Informationen aus der Online-, Offline- und App-Präsenz zusammenführen. Aber auch Daten anderer Messen, die als Benchmark gelten, sind relevant. Dazu kommen weitere externe Datenpools, wie mobile Bewegungsdaten, soziale Milieus, Event- und Ferientermine, Verkehrsaufkommen und Wettervorhersagen. Indem Besucherprofile vor, während und nach Corona verglichen werden, können Verantwortliche Entwicklungen und Veränderungen im Verhalten ablesen und neue Gästetypen bestimmen.
Auch sind Google-basierte Suchanfragen von potenziellen Besuchern aus dem In- und Ausland wichtig. Sie gelten als wichtiger Frühindikator für das Messe-Reiseverhalten. Denn konnten in der Vergangenheit internationale Besucher auf Basis der Vorjahre relativ stabil prognostiziert werden, machen politische Krisen oder Pandemie-bedingte Reisebeschränkungen gerade ihr Verhalten volatil. Durch die Google-Analyse lassen sich bereits im Vorfeld auch ihre Interessen bestimmen, eine wirksame Zielgruppenkommunikation auf relevanten Kanälen aufsetzen, passende Übernachtungs- und Programmangebote daraus ableiten und Marketingmaßnahmen in solchen Regionen schalten, wo die Nachfrage klar erkennbar ist.
Zu empfehlen ist auch, die Besuchererwartung an das digitale Angebot zu analysieren. Die Hannover Messe zählte beispielsweise bei der rein digitalen Auflage im Jahr 2021 rund 90.
000 Teilnehmende. In diesem Jahr nahmen 15.000 Interessierte digital teil, rund 75.000 Menschen waren vor Ort. Es gilt herauszufinden, ob das digitale Programm hätte verbessert werden können, um die Teilnehmerzahlen auf ein ähnliches Niveau wie 2021 zu bringen – ohne die Vor-Ort-Präsenz zu kannibalisieren. Denn soll die Hannover Messe wieder auf die 200.000 Besuchenden wie vor Corona kommen, stehen nicht nur die Bedürfnisse der Menschen auf der Messe, sondern auch die der digital Teilnehmenden im Fokus.
Messegäste lassen sich spontan vor Ort inspirieren, von unerwarteten Angeboten und Möglichkeiten leiten. Um mehr darüber herauszufinden, hilft Location Intelligence. Hierbei geht es um die gezielte Analyse mobiler Bewegungsdaten. Diese Daten werden DSGVO-konform aus den Bewegungen von Smartphones und/oder über Sensoren erfasst. So gewinnen Verantwortliche raum- und zeitbezogene Einblicke in die Besucherströme: Welche Hallen, Stände oder Veranstaltungen sind attraktiv, wann und wie lange werden sie besucht?
Richtig spannend wird es, wenn soziodemografische und geografische Merkmale die mobilen Frequenzen anreichern. So lässt sich nicht nur sagen, wie viele Gäste sich wann und wo aufgehalten haben, sondern auch, was dies für Menschen sind: aus welchen Regionen, Branchen und Berufsgruppen sie stammen, was ihre Interessen sind, wie ihre Altersstruktur ist oder ob es sich um Familien oder Singles handelt.
So könnte beispielsweise eine Auswertung der Ispo-Halle „Future Lab“ in München zeigen, dass Nachhaltigkeit im Sport angesagt ist und Stände in diesem Kontext viele Besucherzielgruppen anlocken, darunter viele zahlungskräftige Mid-Ager. Dies wäre eine relevante Planungsgrundlage für die inhaltliche Ausrichtung der Folgemesse und der Ausgestaltung des zukünftigen Besuchermarketings.
Location Intelligence sorgt auch dafür, dass während der Messe digitale und mobile Services an neue Anforderungen und Bedürfnisse angepasst und Besucherströme optimiert werden. So können Messebetreiber beispielsweise Kapazität an Eingängen so planen, ohne dass Schlangen entstehen. Die Messegäste in- und auswendig zu kennen, sie in den Mittelpunkt aller Überlegungen zu stellen, kurbelt das Geschäft mittel- und langfristig an.
Annette Klett-Steinbauer
Die daraus gewonnenen Erkenntnisse haben auch großen Mehrwert für ausstellende Unternehmen und sie können darüber hinaus in neuen digitalen Produkten vermarktet werden. Die Daten helfen ihnen, beispielsweise ihr Messepersonal besser zu planen und ihren Auftritt auf die Interessen und Bedürfnisse der Besucher genauer abzustimmen. Darüber hinaus unterstützt die Analyse sie dabei, ihre eigene Marketingeffizienz zu erhöhen.
Die Daten sagen ihnen auch, welche Besuchenden in ihrer Halle waren, welche Interessierte sich in unmittelbarer Nähe zu ihrem Unternehmensauftritt aufgehalten und welche tatsächlich den Stand besucht haben. So können sie versuchen, potenziell relevante Personen, die sie beim letzten Mal nicht erreicht haben, gezielt auf der nächsten Messe anzusprechen und sie für einen Besuch auf ihrem Stand zu gewinnen. Auch hilft ihnen ein Wettbewerbsvergleich hinsichtlich Besucherprofilen und Frequenzen, um ihren Auftritt zu optimieren.
Smarte Dashboards und ihre aussagekräftigen Analysen unterstützen sowohl Messeveranstalter als auch ausstellende Unternehmen dabei, ihr Besuchermarketing weiterzuentwickeln. So können sie auf individuelle Bedürfnisse eingehen und besondere Erlebnisse schaffen. Die Messegäste in- und auswendig zu kennen, sie in den Mittelpunkt aller Überlegungen zu stellen, das kurbelt das Geschäft mittel- und langfristig an. Die Aktivierung der richtigen Besuchergruppen für die jeweilige Messe ist die Grundlage für zufriedene Aussteller und damit für eine erfolgreiche Veranstaltung.